Reanimation bei Hypothermie
Die Reanimation unter besonderen Bedingungen birgt zusätzliche Herausforderung bezüglich Einsatztaktik und Eigenschutz – die Reanimation bei Hypothermie ist eine solche Besonderheit, denn nicht nur im alpinen Gelände muss mit einer Hypothermie gerechnet werden, auch im Rahmen von Ertrinkungsunfällen spielt die Hypothermie eine wichtige Rolle.
Im Management ändert sich im Vergleich zur „normalen Reanimation“ viel – wir haben einige Highlights für euch zusammengefasst.
Das pdf zu dieser Folge findet Ihr hier:
Einleitung
Die Reanimation bei Hypothermie ändert das Management zum Teil erheblich. Für die Retter können sich vor Ort zusätzliche Gefahren ergeben (z.B. Lawinen). Der Transport ist evtl. schwierig oder lang. Allein die Feststellung eines kardiopulmonalen Stillstandes kann herausfordernd sein.

Fact 1 – DEFINITION!
Eine Hypothermie wird als Körperkerntemperatur von < 35°C definiert. Die Geschwindigkeit der Auskühlung hängt von vielen Faktoren ab (Isolation, Umwelteinflüsse). Windige Verhältnisse, die Außentemperatur an sich und die Isolation (z.B. Kleidung) des Patienten sind von Bedeutung. Vor allem Wasser erhöht die Wärmeabgabe des Körpers erheblich. Aber auch in Innenräumen muss mit Hypothermie gerechnet werden. Selbst bei noch angenehmen Temperaturen kann ein Körper auskühlen, insbesondere wenn noch andere Faktoren hinzukommen (andere Erkrankungen, Bewusstlosigkeit, Alkohol oder andere Drogen).
| Stadium Nach Paal | Symptome | Körperkerntemperatur |
| I | Muskelzittern, Patient wach | 35 – 32°C |
| II | Muskelzittern und Vigilanz nehmen ab | 32 – 28°C |
| III | Bewusstlosigkeit | 28 – 24°C |
| IV | Minimale oder keine Vitalzeichen | < 24°C |
CAVE: Die häufig verwendeten Tympanothermometer sind nicht für die Messung tiefer Temperaturen geeignet. Diese sind in extremen Temperaturbereichen ungenau und funktionieren bei sehr kalten oder heißen Außentemperaturen nicht zuverlässig. Präklinisch ist meist aber keine andere Methode verfügbar. Innerklinisch lassen sich z.B. über Blasenkatheter oder im Ösophagus genaue Werte ermitteln.
Wichtig ist, ob es zuerst zu einer Hypoxie mit sekundärer Hypothermie gekommen ist, oder umgekehrt. Dies ist für die Prognose entscheidend. Kühlt der Körper schnell genug aus, bevor eine relevante Hypoxie eintritt, kann die Kälte zu einem verlangsamten Stoffwechsel führen und damit protektiv im Sinne einer längeren Hypoxietoleranz führen. So gibt es hier Einzelfallberichte über sehr lange Reanimationen mit gutem neurologischen Outcome. Tritt die Hypoxie aber zuerst ein, bevor der Körper auskühlen konnte, ist die Prognose deutlich schlechter. Nicht immer lässt sich diese Frage aber initial sicher beantworten.
Zeigen sich sichere Todeszeichen oder ist der Körper steif gefroren, sodass keine Thoraxkompressionen mehr möglich sind, sollte keine Reanimation begonnen werden. Von Lawinen verschüttete Personen sollte auch nicht reanimiert werden, wenn diese mehr als 60min verschüttet waren und sich initial eine Asystolie und ein vollständig durch Schnee verlegter Atemweg zeigt.
Fact 2 – MEDIKAMENTE!
Die Verwendung von Medikamenten wird kontrovers diskutiert. Bei unter 30°C wird die Gabe von Antiarrhythmika und Katecholaminen nicht empfohlen. Bei 30 – 35°C sollte das Intervall verdoppelt werden. Die Dosierung bleibt gleich.
Fact 3 – DEFIBRILLATION!
Bei defibrillierbarem Rhythmus ist ein Effekt einer Defibrillation und Etablierung eines stabilen Rhythmus erst bei Temperaturen über 30°C zu erwarten. Unterhalb von 30°C sollten maximal 3 Defibrillationsversuche erfolgen.
Fact 4 – TRANSPORT UNTER REANIMATION!
Muss der Patient unter laufender Reanimation transportiert werden, sollte eine mechanische Reanimationshilfe genutzt werden. Wenn eine kontinuierliche CPR nicht möglich ist, kann bei < 28°C KKT 5min CPR mit <5min ohne CPR abgewechselt werden, bei < 20°C KKT können sogar <10min Pause mit 5min CPR abwechseln.
Als Zielklinik sollte – wenn sinnvoll möglich – ein Zentrum mit ECMO/ECLS bzw. HLM-Kapazität gewählt werden.
Fact 5 – ECMO!
Zur Wiedererwärmung bei schwerster Hypothermie ist der Einsatz einer vaECMO am effektivsten. Das entsprechende Zentrum sollte frühzeitig informiert werden. Bewusstlose hypotherme Patienten mit einem systolischen Blutdruck < 90 mmHg, Herz-Kreislaufinstabilität oder Körperkerntemperatur < 32°C (bei älteren und multimorbiden Patienten) bzw. < 30°C (bei jungen gesunden Patienten) sollten vorrangig in eine Klinik mit ECMO-Möglichkeit gebracht werden.
Falls eine ECMO nicht verfügbar ist, erfolgt die Erwärmung durch warme Umgebung, Heizdecken oder innerklinisch mittels Dialyse, Pertitoneallavage oder Blasenspülungen. Auch intravasale Devices wie z.B. Coolguard® können zum Einsatz kommen.
ESC Guidlines
In den ESC Guidlines findet sich ein gutes Flowchart zum Thema: Reanimation 2021 – Leitlinien kompakt (grc-org.de)
Quellen und weiterführende Infos:
Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen | SpringerLink
Accidental hypothermia–an update (nih.gov)
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8744717/
Wiederbelebung bei Hypothermie und Ertrinken Worin besteht der Unterschied?
Endovascular catheter as a rewarming method for accidental hypothermia – PubMed (nih.gov)

Also bei uns haben die Thermometer eine deutlicheren besseren Temperaturbereich
Diese benutzen wir – ja sind wirklich teuer aber zuverlässig
https://www.meetb.de/233/thermo-scan-pro-6000-mit-kleiner-basiseinheit-messbereich-von-20-0-bis-42-2-0c?c=86
Ja. Diese oder ähnliche haben wir auch. Aber auch hier sagt der Hersteller: Messgenauigkeit: +/- 0,2°C (+/- 0,4°F) für den Bereich 35,0°C bis 42,0°C. In den Temperaturen darunter wird es ungenauer. Auch bei Temperaturen unter 10°C Außentemperatur verlässt das Gerät laut Hersteller seine Komfortzone.
Tja, aber wie diagnostiziert man die magische 30-Grad-Grenze?
Die meisten Rettungsdienstthermometer hören bei unter 32-Grad auf…
Ich habe einzig das Thermometer ADC-Adtemp 419 (26-43Grad, bevorzugter Messort: hintere Zungentasche) als präklinische Alternative gefunden, falls man die Anschaffung einer Ösophagussonde scheut. Sicher immernoch artefaktanfällig, aber besser als nix.
Und für die Offshore-/Expeditions-/Katastrophen-Mediziner*innen unter uns: bei der Wiedererwärmung durchaus an die Blasenspülung mit 40Grad-Wasser denken. CAVE: TUR-Syndrom. Aber das Risiko muss man dann wohl eingehen, wenn man im Schneesturm/Erdbeben im Zelt oder auf der Bohrinsel sich zur invasiven Therapie entschließt. Daher (und aus anderen Gründen) gehört in jede medizinische Expeditionskiste ein 14Ch und/oder 16Ch Tiemann-Katheter + großer Spritze und natürlich nen Gaskocher. Thermometer hat man ja schon dabei 😉
Sollte man in Ländern ohne ECMO- oder Dialyse-Möglichkeit es in eine Klinik schaffen, dann ist die operativ-laparoskopische Peritoneal-Lavage zur aktiven Wiedererwärmung unter laufender CPR eventuell auch noch ein Pfeil im Köcher.
Tja, da sprichst du die Grenzen der Realität an bzw. das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Das präklinisch exakte Messen der Temperatur ist meist nicht möglich. Man erhält nur eine grobe Orientierung. Da muss man sich im Zweifel entscheiden, ob man bei < 32° den Algorithmus unter oder über 30° wählt.
In den facts haben wir uns auf die deutschen Verhältnisse bezogen. Aber du hast natürlich recht. In den angesprochenen Extremfällen sind diese Methoden sicher noch zu erwägen, bevor man gar nichts tut. Da muss dann im Zweifel die McGuyver Methode ran 😉 Hast du persönlich Erfahrung mit solchen Expeditionen?